Die Situation von queeren Menschen ist sehr unterschiedlich und an dieser Stelle ist es durchaus sinnvoll LGBT und IAQ auseinander zu dividieren: Lesben und Schwule haben ihren Platz in weiten Teilen der Gesellschaft gefunden, Bisexuelle sind nach wie vor unsichtbar, binäre trans Menschen zumindest ein Begriff. Allen gemeinsam ist, dass ihre Lebensrealität mehr oder weniger einfach in den beruflichen Alltag integrierbar ist. Menschen außerhalb der Binarität stellen hier eine „größere Herausforderung“ dar, die viele Unternehmen schlichtweg nicht leisten wollen. A-Spec Menschen, die auch im beruflichen Kontext oft erklärt bekommen, dass die richtige Person schon noch kommt, seien hier der Vollständigkeit halber erwähnt, weil sie sonst gerne vergessen werden.
Viele Unternehmen meinen, sie wollen inklusiv sein, dabei ist die Realität eigentlich eine ganz andere: Sie dürfen an vielen Stellen nicht mehr diskriminieren, müssen sich daher bewegen, finden ihre Positionierung innerhalb des Rechtsrahmens und streuen gerne bisschen PR darüber. Progressiv ist das aber nicht. Es beginnt bei den Formularen, wo oft zwischen „Herr“ oder „Frau“ ausgewählt werden muss. Aber selbst dann, wenn Bewerbungsformulare keine Anrede erfordern, haben viele Firmen das Feld trotzdem in anderen Bereichen wie z.B. Kund*innenformularen. Da wurde die Inklusion nicht zu Ende gedacht. Das Problem setzt sich aber gleich beim zweiten Feld fort: dem Namen. Für viele Menschen ist der legale Name (noch) nicht der, den sie in ihrem Leben führen. Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit den eigenen Namen zu ändern, das ist aber hauptsächlich aus dem Kontext der Ehe gedacht. Heute wird geheiratet, morgen gibts einen neuen (Nach-)Namen. Diese punktuelle Änderung entspricht aber überhaupt nicht der Lebensrealität (gender-)queerer Menschen. Eine Transition braucht Zeit und ist auch immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Und auch nach einer Namensänderung können unkomfortable Situation durch alte Zeugnisse oder Dokumente, auf denen noch der alte Name steht, entstehen. Wie viel Genderdysphorie spare ich ein und wie viel Diskriminierung und emotionale Belastung lade ich mir damit auf, mich in meiner Bewerbung oder auch grundsätzlich zu outen?
Unternehmen brauchen den juristischen Namen für die Personalverrechnung, aber sonst brauchen sie ihn eigentlich nicht. Zwei Namen zu führen – einen für Vertrags- und Verrechnungsdaten und einen für die alltägliche Kommunikation im Unternehmen, E-Mails, etc. ist daher eigentlich sehr naheliegend, in der Praxis aber kaum möglich. Softwaresysteme bilden die Lebensrealität einer Transition nicht ab, es gibt einen Namen der verarbeitet wird und bestenfalls kann mensch mit zwei Accounts darum herumarbeiten. Aber selbst das löst das Problem nicht, weil es nicht nur darum geht den gewählten Namen zu führen, sondern auch entscheiden zu können, wo out sein sicher ist. Ein Outing ist kein einmaliges Unterfangen, sondern ein Prozess – mensch outet und erklärt sich immer und immer wieder. Und mensch will eventuell nicht in allen Kontexten zum gleichen Zeitpunkt out sein. Den Namen einfach zu ändern ist daher keine Lösung; viel besser wäre es zu entscheiden, wer diese Information bekommt und wer nicht. Am Beispiel LinkedIn: Mensch kann den Namen ändern und für alle out sein oder mensch kann ein zweites Profil anlegen und das eigene Netzwerk verlieren, aber mensch kann nicht einstellen, dass die alten Kontakte den alten Namen sehen, die neuen den neuen sehen und manchmal Leute von der einen Gruppe in die anderen wechseln.
Schlussendlich steht dann ein Name in der Signatur und dann kommen in vielen Unternehmen, die zeigen wollen, dass sie besonders progressiv sind, Pronomen dazu. Menschen nach ihren Pronomen zu fragen und die eigenen Pronomen anzubieten, indem eins sie bei der Vorstellung nach dem Namen nennt ist großartig. Zu meinen, alle Probleme lösen zu können, indem alle ihre Pronomen in die Signatur schreiben, schafft aber eigentlich nur mehr Probleme. Unternehmen schulen ihre Mitarbeiter*innen für Brandschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz, speziellere Themen wie Anti-Geldwäsche im Bankenbereich, aber sie sollten auch für den Umgang mit Minderheiten schulen. Passiert das nicht, wird die erste Person, die etwas anders als er/ihm oder sie/ihr benutzt, zum unbezahlten Erklärbär, der dann Diskussionen darüber führt, warum es angeblich mühsam sein soll, den Namen, statt eines Pronomens zu benutzen und was überhaupt ein Pronomen ist. Und nur weil Pronomen kommuniziert werden, heißt es, nicht, dass sie respektiert werden. Was ist die Konsequenz, wenn Personen misgendert werden? Gibt es einen Prozess oder bleibt es dann an der Person hängen ihre Pronomen zu verteidigen? Ein Pronomen ist auch ein outing, was die Sache wieder zu einer Zwickmühle macht: Sich selber misgendern, aber zumindest wissen, woran eins ist oder die richtigen Pronomen benutzen, damit geoutet sein und potenziell trotzdem misgendert oder respektlos behandelt werden? Die IT ist auch hier wieder Teil des Problems: Pronomen sind meistens optional. Diese Implementierung festigt ein binäres Weltbild, weil es letztendlich aussagt, der Default-Case sei, Menschen ihre Pronomen ansehen zu können, sprich dass diese zum gelesenen Geschlecht oder zum Vornamen passen. Also genau das Gegenteil dessen, was erreicht werden soll – Awareness, dass Pronomen nicht angenommen werden können, sondern kommuniziert werden müssen. Default sollte daher nicht sein, Pronomen nicht anzuführen, sondern „kein Pronomen“ bzw. eine geschlechtsneutrale Anrede für alle, die nicht explizit bestimmte Pronomen auswählen.
Nach den Meta-Themen holt einen irgendwann die eigene physische Realität ein und mensch muss aufs WC. Aber auf welches? Da funktioniert alles wieder sehr binär, Unisex Toiletten sind ein Novum. Unternehmen reden sich gerne auf gesetzliche Regelungen aus: Derlei gibt es viele, neben Toiletten z.B. auch zum Thema Umkleidekabinen. Die Klausel, dass geschlechtsspezifische Begriffe für alle gelten, greift hier nicht, weil diese Gesetze binär gedacht sind. Es ist Unternehmen aber grundsätzlich erlaubt, strategische Prozesse zu führen. Unternehmen in ihrer Gesamtheit haben eine extreme Macht, die sie auf die Politik ausüben können und oft auch tun. Sie tun es nur nicht für queere Themen. Diese Umsetzung von „Inklusion“ hat weder etwas mit Inklusion noch mit Progressivität zu tun, sondern ist schlichtweg ein Compliance-Thema. Queere Menschen bleiben auf der Strecke und die Community muss sich selbst um ihre Probleme kümmern. Was wir auch tun, aber wenn es so einfach wäre uns selbst zu helfen, wären wir keine Minderheit. Die Diskussion über „Schutzräume“ ist an dieser Stelle auch eine völlig falsche, weil sie letztendlich nur aussagt, dass es scheinbar sehr viele ungeschützte Räume gibt und hier angesetzt werden sollte. Das würde allen zugutekommen.
Hat mensch sich eingelebt, geht’s weiter mit der Karriere-Planung. Viele Unternehmen haben Mentoring Programme, meistens auch welche speziell für Frauen. Hier werden die Diskussionen sehr schnell sehr terfig, weil es transphobe Menschen gibt, die meinen, queere Menschen wollen ihnen etwas wegnehmen. Bei der „Frauenförderung“ ging es aber nie darum, Privilegien für Frauen zu schaffen, sondern Benachteiligung abzubauen. Es ging auch im Kern nie um Frauen, die Bezeichnung ist einseitig und binär gedacht. Korrekt müsste es statt „Frauenförderung“ eigentlich „Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung, die Menschen aufgrund ihres Geschlechts erfahren“ heißen. Das betrifft überwiegend Frauen, aber eben nicht nur. In der Realität ist es dann oft so, dass Quoten berichtet werden müssen. Die Reports werden aus den HR Daten generiert, diese wiederum führen die Informationen aus den offiziellen Ausweisdokumenten. Eine nicht-binäre afab Person, die ihren Geschlechtseintrag noch nicht ändern kann, bekommt also vermutlich Zugang, auch wenn sie sich misgendern lassen muss. Menschen mit etwas anderem als einem F im Ausweis, vermutlich nicht. Damit geht die Maßnahme am eigentlichen Ziel vorbei.
Arbeitet eins in einem internationalen Konzern, ergeben sich eventuell auch Karrieremöglichkeiten über die Landesgrenzen hinaus. Oder eins wird zu Dienstreisen gezwungen, weil sich jemand um die verstreuten Niederlassungen kümmern muss. Einen weißen cis Mann kann die Firma bedenkenlos durch die Welt schicken, aber bei allen anderen kann es schon schwierig werden. Nicht-weiße Männer managen den Rassismus meistens selber, Frauen planen um schwierige Reisedestinationen herum oder reisen in Begleitung, queere Menschen, gerade wenn sie das auch im Personenstand dokumentiert und somit ein X im Ausweis haben, sehen sich noch mit ganz anderen potenziellen Problemen konfrontiert: Abgesehen von Alltagsdiskriminierung, haben einige Länder schlichtweg nur M und F auf Visaanträgen zur Auswahl. Andere Länder haben so queerfeindliche Gesetze, dass eine Einreise, selbst wenn sie möglich ist, ein hohes Risiko für die eigene Sicherheit darstellt. Eine internationale Karriere kann aber auch eine Chance sein, aus einem queerfeindlichen Land raus zu kommen. Dann haben Betroffene aber trotzdem oft das Problem, dass sie in ihrer neuen Heimat als das Geschlecht behandeln werden, das ihnen ihr Heimatland aufzwingt, ohne Möglichkeit, dies zeitnah zu ändern. Eine Einbürgerung ist ein Weg, aber die Staatsbürger*innenschaft wechselt mensch auch nicht einfach so von heute auf morgen.
Organisationen bringen Probleme mit sich, die für die einzelne Person oft nicht überwindbar sind. Für viele queere Menschen steht daher schnell die Selbstständigkeit im Raum. Kund*innen, Kolleg*innen und eventuell Mitarbeiter*innen kann eins sich selber aussuchen und das eigene Umfeld in weiten Teil gestalten. Gerade auf der Kund*innenseite wird es aber dann schnell auch wieder schwierig. Verkauft mensch kein Produkt, sondern eine Dienstleistung, ist eins wieder Teil des Arbeitsmarkts. Unternehmen wollen Leistung zukaufen und sich möglichst wenig mit „Befindlichkeiten“ befassen oder „Risiken“ eingehen, sondern Dinge erledigt wissen. Während der Arbeitnehmer*innenschutz durchaus Fortschritte macht, sind Unternehmer*innen hier sehr alleine. Bei gleicher Qualifikation bekommt ein Lukas Fischer eher den Auftrag als ein Amal Kumar oder eine Sophia Müller. Ein Angebot von Em Jensen (they/them) ist vielen wahrscheinlich schon zu mühsam überhaupt zu lesen. Viele Manager wollen mit anderen Männern reden. Einige Unternehmer*innen greifen daher in die Trickkiste und behaupten, es gäbe einen männlichen Geschäftsführer, der aber leider nie erreichbar ist. Das funktioniert natürlich nicht in allen Branchen, aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch.
Kreative Lösungen werden wir vermutlich leider noch eine ganze Weile brauchen. In Österreich hat der Verfassungsgerichtshof 2018 die staatliche Einteilung der Menschen in zwei Geschlechter als verfassungswidrig aufgehoben. Das hatte weitreichende Auswirkungen auf viele andere Gesetze – die Aufgabe diese zu reparieren hat der Gesetzgeber aber bisher ignoriert. Mit der Macht, die Unternehmen haben, könn(t)en sie einen Beitrag leisten. Nur eine Pride Flag im Juni aufzuhängen, ist zu aber wenig. Mit etwas Umdenken kann die Welt für alle Menschen sicherer gestaltet werden. Oder aus einer anderen Perspektive, die Kapitalisten schon lange kennen, formuliert: glückliche Mitarbeiter*innen sind auch gut für den Profit (: